TVöD

Stellungnahme zum Arbeitsvertragsrecht in der Kirche und ihrer Diakonie

Nach kirchlichem Selbstverständnis hat die christliche Kirche „mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung“ Zeugnis abzulegen (Barmer Theologische Erklärung von 1934, dritter Artikel). Darum haben sich die meisten Landeskirchen in der EKD bei der Regelung des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts für den sogenannten „Dritten Weg“ entschieden, der dem Ideal einer Dienstgemeinschaft verpflichtet ist. Sie verbinden damit den Anspruch, den normativen Werten eines christlichen Verständnisses der Arbeitswelt im Arbeitsvertragsrecht in besonderer Weise Ausdruck zu geben.

Gleichwohl haben in der Vergangenheit die Landeskirchen für die Regelung ihrer kirchlichen Arbeitsbeziehungen das Arbeitsvertragsrecht des Öffentlichen Dienstes fast vollständig übernommen. Für den Öffentlichen Dienst wurde im Herbst 2005 der bisher geltende Bundesangestelltentarif (BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ersetzt. Damit stellt sich für die Landeskirchen die Frage, wie sie ihr kirchliches Arbeitsvertragsrecht in Zukunft ausgestalten wollen. Die Arbeitsrechtliche Kommission der Evang. Landeskirche in Baden hat entschieden, sich für ihren Bereich am TVöD zu orientieren. Viele andere Landeskirchen warten zur Zeit noch das Ergebnis von Verhandlungen auf EKD-Ebene ab, die das Ziel verfolgen, ein eigenes kirchliches Arbeitsvertragsrecht zu entwickeln.

Die badische Initiativgruppe „Ökumenisches Teilen – Solidarischer Lohn“ beschäftigt sich seit langem mit der Frage der Angemessenheit von Löhnen und Gehältern in der Kirche. Sie sieht in der christlichen Tradition der Gerechtigkeit gegenüber den Schwächeren (Option für die Armen) einen zentralen Aspekt bei der Gestaltung kirchlicher Arbeitsbeziehungen. Darum bringt sie die folgenden Überlegungen in die Diskussion ein:

1) Wenn sich das kirchliche Arbeitsvertragsrecht am TVöD orientiert, sollte auf die Anwendung der untersten Lohnstufe generell verzichtet werden, weil ein existenzsicherndes Einkommen auf diesem Niveau nicht erzielt wird.
2) Die im TVöD vorgesehenen Leistungsentgelte (Zielgröße: 8%) sollten zur Zahlung sozialer, familienbezogener Entgeltbestandteile eingesetzt werden.
3) Eine Anhebung der oberen Gehälter bei Funktionsstellen sollte generell unterbleiben, um die Einkommensschere nicht weiter zu öffnen.
4) Die Initiativgruppe fordert die Offenlegung aller kirchlichen Gehälter in der Kirche und ihrer Diakonie, insbesondere bei Führungspositionen diakonischer Einrichtungen.
5) Das auf EKD-Ebene diskutierte eigene kirchliche Arbeitsvertragsrecht (KDAVO/KAO) sieht eine deutliche Absenkung der Entgelte unter das Niveau des TVöD vor. Dabei weisen die untersten Lohnstufen Niedriglöhne aus, die kein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen (unterster Monatslohn: 1068,- € brutto). Dieses Arbeitsvertragsrecht ist darum nicht kirchengemäß.
6) Die Initiativgruppe hält es nicht für tragbar, dass diese für fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dramatischen Änderungen weitgehend ohne kirchlich-öffentliche Diskussion und auch ohne Befassung der Synoden auf allen Ebenen vor sich gehen.


In seiner Denkschrift zur Armut in Deutschland „Gerechte Teilhabe“ schreibt der Rat der EKD: „Ein Niedriglohnsektor darf kein Bereich werden, in dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine sich stets nach unten bewegende Lohnspirale ausgebeutet werden. In einem reichen Land wie Deutschland sollte es Ziel sein, den Niedriglohnsektor so klein wie möglich zu halten.“

Christlich – sozialethische Überzeugungen müssen bei der rechtlichen Ausgestaltung einer eigenen kirchlichen Regelung der Arbeitsbeziehungen erkennbar einbezogen sein. Wo dies nicht geschieht, stellt sich die Kirche außerhalb des im Geiste einer Dienstgemeinschaft konzipierten „Dritten Weges“ und würde damit die Legitimität ihrer arbeitsrechtlichen Regelungsautonomie selbst in Frage stellen.


Heidelberg, 27. Juli 2006
gez. für die Initiativgruppe: Dr. Vincenzo Petracca


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